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Veit Noll: Die Hochadeligen von Einsiedel als Grundherren und Besitzer des Burgschlosses Scharfenstein bei Zschopau am Ende des 18. Jahrhunderts und Anfang des 19. Jahrhunderts im Verhältnis zu ihren Untertanen

Seit dem Ende des 15. Jh. gehörte die Burg Scharfenstein bei Zschopau mit den dazugehörigen Dörfern bzw. Örtlichkeiten Großolbersdorf, Scharfenstein, Grießbach, Grünau, Hohendorf und Hopfgarten der Familie von Einsiedel.

Carl Stülpner in der Herrschaft der Burgherren von Einsiedel

Ende des 18. Jahrhunderts ist mit der Burg Scharfenstein, dem Ort Scharfenstein und der Umgebung der legendäre Wildschütz Carl Stülpner verbunden. Am 30. September 1762 wurde er in Scharfenstein im Gänsewinkel als Sohn des Mühlburschen und Häuslers Johann Christoph Stülpner (Stilpner) geboren. Hauptsächlich in der Zeit von 1784 bis 1795 trat er im Herrschaftsgebiet der Rittergutsbesitzer von Einsiedel durch aufrührerisches Verhalten in Erscheinung, danach immer mal wieder. 1779 ließ er sich für den Soldatenstand anwerben. 1783/1784 wurde er im Dienst des Prinz-Maximilian-Regiments nach Zschopau versetzt. Als er unter Missachtung des herrschaftlichen Jagdrechtes in seiner Heimatregion Wilderei betrieb, wurde er durch seine Militärvorgesetzten verhaftet und bestraft. Die Sanktionen empfand er als höchst ungerecht und desertierte aus den Militärdiensten. Es war für ihn nicht einsehbar, dass das Wild, welches an kein Territorium gebunden war, nicht von jedermann gejagt werden könne. Stülpner wurde verfolgt, versteckte sich in den Wäldern um das Gebiet von Scharfenstein und versorgte den einen oder anderen heimlich mit Wildbret.

Legendär wurde er aber vor allem, weil er Ungerechtigkeiten entschlossen und erfolgreich entgegentrat. So stellte ein Förster ein armes Weib, welches sich im Wald Holz zusammengesucht hatte und in ihrem Korb auf dem Rücken nach Hause tragen wollte. Der Förster rechtete mit ihr wegen des Holzdiebstahls, forderte, riss ihr den Korb vom Rücken und zertrümmerte ihn. Stülpner beobachtete dies aus einem Versteck heraus und stellte sodann den Förster mit gespannter Flinte. Derartig bedroht, sah sich der Förster genötigt, Stülpners Forderungen nachzukommen. Er entschädigte das arme Weib für den zerstörten Korb mit 8 Groschen und musste sie ihrer Wege ziehen lassen.  

Bei dem Versuch, den steckbrieflich gesuchten Stülpner festzunehmen, wollte man ihn im Haus seiner Mutter überraschen und festnehmen, da er dort immer mal heimlich zu Besuch weilte. So drang der Gerichtsdirektor mit Gerichtsdiener, Jäger, Unteroffizieren und Soldaten in das Haus der Mutter ein, konnte Stülpner aber nicht fassen. Sie fanden Sachen von ihm, u. a. seinen Hirschfänger, und Spuren seiner kurz vorherigen Anwesenheit. Sie durchsuchten alles und richteten dabei erhebliche Zerstörungen an. Seiner konnten sie nicht habhaft werden. Stülpner forderte einige Tage später den Gerichtsdirektor, indem er einem Bauernjungen ein Billet mitgab, auf, für die Zerstörung und Beschädigung von Möbeln, Fenstern, Dielen und dergleichen, seine Mutter mit 6 Thalern zu entschädigen. Stülpner hatte sich zwischenzeitlich einen solchen Respekt verschafft, dass der Gerichtsdirektor diese Entschädigung wohl oder übel zahlte.

Auch belagerte Stülpner nach dem gerichtlichen Eindringen in das Haus seiner Mutter am 13. Oktober 1795 kurzzeitig die Burg Scharfenstein. Als Gerichtspersonen seine bei seiner Mutter aufgefundenen Sachen aus der Burg in das Amt bringen wollten, bedrohte er diese mit schussbereiter Flinte. Er verlangte sein Hab und Gut, die Erschrockenen legten die Sachen nieder und flohen sogleich in die Burg zurück. Stülpner nahm sein Eigentum an sich und begab sich von dannen.

Andererseits befreundete sich Stülpner mit der Tochter des Ortsrichters, der 15 Jahre jüngeren Johanne Christiane Wolf. Sie hielten ihre Beziehung geheim, auch wenn sich nicht alles verbergen ließ. So brachte Christiane Wolf am 16. Februar 1796 einen Sohn zu Welt, der allerdings die Geburt nicht überlebte. Am 11. Juli 1799 gebar sie aus der Beziehung mit Stülpner eine Tochter, welche auf Johanne Eleonora getauft wurde. Stülpner und Christiane Wolf waren allerdings nicht verheiratet. Damit hatten sie sich der äußerst schweren Straftat des außerehelichen Beischlafes schuldig gemacht. Nach althergebrachtem Recht standen für die `geschwächte Weibsperson´ darauf die Kirchenbuße, Staupenstrafe (öffentliches Auspeitschen am Pranger) und die Verweisung aus dem Gerichtsbezirk. Auch Stülpner als Stupateur war zu bestrafen. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass die Strafe an der Kindesmutter vollzogen wurde, Stülpner entzog sich ohnehin. Die genaue Rechtssituation im zeitgenössischen Wandel des Rechts ist allerdings zu verifizieren. Christiane Wolf kam aber ihrer Verpflichtung nach, die außereheliche Schwangerschaft amtlich anzuzeigen. In jedem Fall war das Verhalten ihrer Tochter für den Ortsrichter und seine Ehefrau in höchstem Maße peinlich. 

Es zeigt sich allerdings, dass Stülpner Rechtsvorschriften, die für ihn nicht einsichtig waren, einfach nicht befolgte. Auf Wilddieberei stand `Festungsbau´ als Strafe. 

Als der Gerichtsherr, also einer der Herren von Einsiedel, sich auf einem einsamen Spaziergang befand, begegnete er Stülpner. Nach einem freundlichen Gruß redete man unbefangen miteinander. Stülpner entschuldigte seine Lebensart in den Wäldern und seine Wilddieberei mit seinen gewöhnlichen Gründen und suchte mit Bescheidenheit zu beweisen, dass sein Verhalten nicht strafbar sei. Im Übrigen würde man sich vergeblich bemühen, ihn zu verhaften.

Zu den hohen Zeiten Stülpners waren der in österreichischen Diensten stehende Kaiserlich-Königliche Kämmerer und Generalmajor Kurt Heinrich von Einsiedel (1735-1809) und sein Bruder der Kaiserlich-Königliche Major Alexander Abraham von Einsiedel (1736-1798) Mitbesitzer von Scharfenstein. Der Generalmajor lebte gewöhnlich in Wien und verstarb auch dort, im Übrigen verfügte er über seine Herrschaft Weisbach mit den dazugehörigen Dörfern in Dittersdorf über ein damals modernes Herrenhaus. Andererseits verbrachte der Major Alexander Abraham von Einsiedel seine letzte Lebenszeit auf Scharfenstein und verstarb dort auch 1798. Von Pietzonka erfahren wir, dass Alexander Abraham von Einsiedel 1791 nach 30-jährigem ausländischen Militärdienst nach Scharfenstein zurückgekehrt war und ihm die Erbuntertanen seiner Dörfer am 12. August 1791 den Treuhandschlag leisteten. So wird der Major Alexander Abraham von Einsiedel derjenige gewesen sein, mit dem Stülpner als Gerichtsherr sein freisinniges Gespräch führte. Auch wird von Albert Schröder berichtet, dass Stülpner auf Fürsprache eines Majors von Einsiedel als Schlossherrn vom Kurfürsten begnadigt wurde und wieder in sein Chemnitzer Regiment eintrat und mit diesem an der Schlacht von Jena 1806 teilnahm. 

Es scheint, dass der General Kurt Heinrich von Einsiedel die Herrschaft über Weißbach-Dittersdorf mit den dazugehörigen Orten und sein Bruder Alexander Abraham von Einsiedel die Herrschaft über Scharfenstein mit den dazugehörigen Orten inne hatte. Mit dem Ableben des Majors von Einsiedel 1798 fiel dann sicherlich die Herrschaft über Scharfenstein ebenfalls an den General als Lehnsfolger. Der in Wien lebende General von Einsiedel, der ebenfalls keine legitimen männliche Nachkommen zu verzeichnen hatte, entschied sich danach schon zu eigenen Lebzeiten das Rittergut Scharfenstein mit Zubehör auf seine Lehnsvettern aus der Linie Lumpzig 1803/04 zu übertragen. Er übertrug das Rittergut an seine Vettern gegen eine lebenslange jährliche Zahlung. 

Die Einsiedels aus der Linie Lumpzig als Burgbesitzer ab 1803/04

So wurden Friedrich Hildebrand von Einsiedel (1750-1828) und seine sämtlichen jüngeren Brüdern gemeinschaftliche Mitbesitzer des Rittergutes mit Schloss und Zubehör. Friedrich Hildebrand von Einsiedel ist der bekannte Kammerherr der Herzogsmutter Anna Amalia von Sachsen-Weimar-Eisenach und trug in Weimar sehr zum geselligen Verkehr bei. Theater, Musik und Literatur waren seine Leidenschaft. Mit Johann Wolfgang Goethe befreundete er sich bereits seit Anbeginn von dessen Aufenthalt in Weimar 1775. Beide waren studierte Juristen. Als Begleiter der Fürstin Anna Amalia hatte er die besondere Gelegenheit Italien, einschließlich Rom und Neapel, mit eigenen Augen zu sehen. Scharfenstein besuchte Hildebrand von Einsiedel jedoch kaum. Anscheinend kam er um 1803/04 ein erstes Mal nach Scharfenstein, an Zusammenkünften der Brüder 1810 und 1812 auf Scharfenstein nahm er nicht teil, sodann wird trotz guten Willens ein späterer Besuch wenig wahrscheinlich.  

Im Hinblick auf Scharfenstein sind allerdings seine jüngeren Brüder Johann August von Einsiedel (1754-1837), Georg Carl von Einsiedel (1759-1835) und Johann Alexander von Einsiedel (1760-1849) interessant. Unter der Leitung von Johann August von Einsiedel unternahmen die drei Brüder 1785/86 eine Expeditionsreise mit dem Ziel des Inneren von Afrika, einem weißen Fleck auf der Landkarte. Die Reisenden gelangten allerdings `nur´ bis Tunis bzw. Georg Carl bis Tripolis, da die Pest über lange Zeit die Karawanenwege in das Innere von Afrika unpassierbar werden ließ. Die auf dieser ungewöhnlichen Reise eingezogenen Nachrichten von Nordafrika veröffentlichte August von Einsiedel 1791.

Die Administration von Scharfenstein erhielt um 1804 zunächst der jüngste Bruder und sächsische Hauptmann Heinrich Ludwig von Einsiedel (1770-1842). Er nahm zugleich Wohnsitz auf Scharfenstein. Mit der Organisation der Klärung juristischer Fragen in Zusammenhang mit der Lehnsübernahme bzw. auch anderer Probleme in Bezug auf Scharfenstein wurde ansonsten Johann August von Einsiedel, damals in Jena wohnend, betraut und von sämtlichen Brüdern bevollmächtigt. Dazu wurde ein fachkundiger praktischer Jurist, Dr. Staffel, zu rate gezogen. Zur Klärung anstehender Probleme fanden sich im Juni/ Juli 1810 und April 1812 die Brüder - wie gesagt, bis auf Hildebrand von Einsiedel - auf Scharfenstein ein. 1812 übernahm der Bruder und Mitreisende nach Afrika Rittmeister Alexander von Einsiedel die Administration von Scharfenstein und lebte auf dem Burgschloss. 

Soweit sich die Einsiedel-Brüder nicht bereits zuvor über die Person des Scharfensteiner Stülpner Carl informierten und informiert wurden, dürften sicherlich die ersten und aufschlussreichen Aufzeichnungen von Friedrich von Sydow unter dem Titel Carl Stülpner, ein berüchtigter Wildschütz im sächsischen Erzgebirge in den Freyberger gemeinnützigen Nachrichten Nummer 23 bis 29, vom Juni/ Juli 1812, in ihre Hände gelangt sein.

Die Ereignisse in Scharfenstein boten allerdings zuvor schon Anlass zur Aufmerksamkeit. Zwischenzeitlich war Stülpners Mutter 1807 in Scharfenstein im Alter von 89 Jahren verstorben. Als Stülpner kurz zuvor im Oktober 1806 an der Doppelschlacht von Jena teilnahm, wusste er sicher nicht, dass einer seiner neuen Gerichtsherren, Johann August von Einsiedel, eben in Jena lebte und dort dann auch im Oktober 1806 aktiv wurde. Dies wird nach seiner Struktur für ihn auch nicht von Interesse gewesen sein. Stülpner ist anscheinend nach der militärischen Niederlage der Preußen wiederum desertiert. So ging er nach dem Ableben seiner Mutter 1807 wieder in das Böhmische. Johanne Christiane Wolf, die Mutter seiner Tochter, folgte ihm. Daraufhin enterbte die Frau des Ortsrichters ihre Tochter Christiane faktisch, indem sie das typische Erbgut der Tochter, die Einrichtung des Haushaltes, an ihre Söhne verkaufte. Sie begründete dies schriftlich damit, dass ihre Tochter dem Deserteur Stülpner gefolgt war. Sie verstarb offenbar mit tiefem Gram im Oktober 1807. Der Ortsrichter folgte seiner Frau wenige Tage danach am 22. Oktober 1807, indem er sich in seinem Haus erhängte - also gegen Moral und Religion `Selbstmord´ verübte. Die Situation der Herkunftsfamilie von Stülpners Partnerin war offenkundig tragisch.    

Im Herbst 1813 lagerten während der Befreiungskriege gegen Napoleons Truppen in der Gegend um Scharfenstein, Großolbersdorf, Heinzebank, Marienberg, Wolkenstein etc. Russische, Österreichische und Preußische Truppen. Auf der Heinzebank befand sich anfänglich das Hauptquartier der Truppen. Die Felder wurden nieder getreten, alles greifbare Holz für Lagerfeuer herangezogen. Überfälle, Misshandlungen und Beraubungen waren an der Tagesordnung. Auf der Straße war man nicht sicher, Geld und Kleidung wurden den Menschen abgenommen. Vieh wurde aus den Ställen und von der Weide weggenommen. In dieser Situation verschaffte sich der vormals K. und K. Rittmeister Alexander von Einsiedel eine Kaiserlich-Österreichische Schutzwache für das Burgschloss Scharfenstein. Er ermöglichte zugleich der einheimischen Bevölkerung ein Teil ihres Viehs und ihrer Habseligkeiten auf die Burg zu schaffen und damit vor dem Übergriff der Truppen zu schützen. 

Im Rahmen der Befreiungskriege wurde 1813 durch den sächsischen König Generalpardon erlassen, so dass sich der Deserteur Stülpner wieder in seine Heimat traute. Mit Johanne Christiane nunmehr verheiratet, erwarb seine Frau am 22. Juli 1816 ein Haus in Großolbersdorf für 125 Taler. 1820 gingen beide aber wieder in das Böhmische. Johanne Christiane Stülpner übertrug ihr Haus an den künftigen Ehemann ihrer Tochter August Schönherr.

1825 nahmen dann auch Johann August von Einsiedel, seine Ehefrau Emilie von Einsiedel (1757-1844) und ihr gemeinsamer Sohn Rittmeister Friedrich August von Einsiedel ihren Wohnsitz auf Scharfenstein. Mit August und Emilie verbrachte ein ganz besonderes Ehepaar seinen Lebensabend auf dem Schloss. 

Emilie, eigentlich Amalie Christine Philipine, eine geborene von Münchhausen, lebte seit 1775 in Weimar. Sie war mit dem Stallmeister Georg von Werthern verheiratet worden und unter dem Namen Emilie von Werthern in der Literatur bekannt. Sie gehörte zum engsten Freundeskreis um die Herzogin Anna Amalia, den Herzog Carl August, Goethe, Knebel, Familie Wieland und Herder, Charlotte von Stein u. a. Nachdem Johann August von Einsiedel Weimar bereits 1777 bis 1783 wiederholt besuchte und sich mit Herder und Goethe befreundete, nahm er 1784 in Oberweimar Wohnsitz. Vor allem verliebte er sich mit Emilie von Werthern als einer verheirateten Frau. Im Mai 1785 begab sich August von Einsiedel mit seinen beiden Brüdern auf die Reise in den Süden nach Afrika. Emilie von Werthern reiste nach Norden zu ihren Verwandten. Die Nachricht ihres plötzlichen Todes an einer hoch ansteckenden Krankheit gelangte nach Weimar. Dort war man über den frühen Tod der jungen, angenehmen Frau tief betrübt. Wenige Zeit später sei sie in Straßburg gesehen worden, mit August von Einsiedel. Das Grab wurde geöffnet und das Scheinbegräbnis offenbar. Der Skandal ging deutschlandweit durch die Zeitungen. Zumindest in Sachsen-Altenburg, der eigentlichen Heimat von August von Einsiedel (Geburtsort Lumpzig), wurde 1786 für Ehebruch für beide Ehebrecher immer noch die Todesstrafe mittels Schwert angedroht. Da wegen der Pest die Liebenden wieder nach Deutschland zurückkehren mussten, musste mit viel Diplomatie eine Lösung geschaffen werden. Diese bestand in der aus verschiedenen Gründen schwierigen Ehescheidung von Emilie von Werthern und der anschließenden Eheschließung mit August von Einsiedel. Sie nahmen dann zunächst Wohnsitz auf Leitzkau, später auf Lumpzig.

Der Bewohner von Scharfenstein August von Einsiedel ist damals als besonderer Freund des bereits verstorbenen Johann Gottfried Herders und im Hinblick auf seine unveröffentlichten Ideen bekannt geworden. Die Themen von Einsiedels Gedanken sind vielfältig. Er beschäftigte sich vor allem mit Naturphilosophie, der Menschheitsentwicklung als Kulturentwicklung und Gesellschaftskritik an den bestehenden, überkommenden Verhältnissen einschließlich einer klaren Kritik an Krieg und Militär. Er war ein Freigeist und klardenkender Kritiker von Religion und damit verbundener Machtausübung. Er widmete sich auch Eigentumsfragen, meinte das die Ergebnisse der Mehrarbeit dem die Arbeit Leistenden gehören sollten. Für einen Dieb aus Not heraus hatte er durchaus Verständnis. Die bestehenden Normen von Recht und Moral unterzog Einsiedel der radikalen Kritik.

In mancher Hinsicht sind Stülpner, Carl - so nennen die Einheimischen ihren Volkshelden noch heute liebevoll - und August von Einsiedel gedanklich gar nicht so weit voneinander entfernt. Beide hinterfragten lebenspraktisch das althergebrachte, überlieferte Recht mit Vernunft bzw. gesundem Menschenverstand. Alles was diesen inneren Kriterien nicht standhielt, wurde negiert.

Andererseits gab es jedoch unter der Herrschaft der Lumpziger Einsiedel-Brüder wiederholt Streitigkeiten um die Frage der Frondienste, die wir späterhin noch darzustellen haben. 

Ein Kind der Liebe von August und Emilie von Einsiedel ist Friedrich August von Einsiedel (1793-1833). Er zeichnete sich ebenfalls besonders aus. In den Befreiungskriegen gegen die Unterdrückung des Französischen Staates unter der persönliche Herrschaft von Napoleon 1812-14 wirkte er tatkräftig auf Seiten der Widerständigen mit. Des weiteren war er auch publizistisch und naturwissenschaftlich für den demokratisch orientieren Brockhaus-Verlag mit Sitz in Leipzig tätig. Mit der Wohnsitznahme in Scharfenstein löste er seinen Onkel Alexander von Einsiedel in der Administration von Scharfenstein ab.

Stülpner scheint um 1828 wieder nach Scharfenstein zurückgekehrt zu sein.

So verbrachten um die Zeit ab 1825 auf verschiedenen Seiten der Burgmauern in Scharfenstein äußerst interessante, ausgeprägte, mutige Persönlichkeiten ihren Lebensabend, die auf verschiedene Weise die überlebten Herrschafts- und Gesellschaftsregeln des Absolutismus in Frage stellten und brachen. 

Die Grießbacher Mühle (Grießmühle) in Scharfenstein: Von der Mahl-, Oehl- und Schneidemühle zur Spinnmühle

Auf der anderen Seite des Zschopauflusses, gegenüber dem Burgschloss befand sich damals die untere, die sogenannte Grießbacher Mühle. An der Flussbiegung ermöglichte ein künstlicher Stichgraben einen kräftigen Wasserdurchfluss. 1804 betrieb der Mühlenmeisters Karl Friedrich Schöniger die Mühle. Es handelte sich um eine Mahl-, Oehl- und Schneidemühle in fünf Mahlgängen. Es wurde Getreide gemahlen, geschrotet, Bretter, Pfosten und überhaupt Holz geschnitten und Oel geschlagen. Der Müller war berechtigt, seine Produkte, also Mehl, Bretter und anderes geschnittenes Holz sowie Oel unmittelbar zu verkaufen. Er durfte zugleich eine Bäckerei betreiben und die Produkte verkaufen. Zur Mühle gehörten Wohn- und Stallgebäude, Acker-, Wiesen- und Gartenflächen. 

Der Herrschaft auf Burg Scharfenstein war der Mühlenbesitzer verpflichtet, für den Bedarf der herrschaftlichen Familie, der dortigen Hof- und Lebenshaltung, der auf der Burg betriebenen Brauerei und Branntweinbrennerei, den Wirtschafter, Pächter, Schafner (d. h. den Beauftragen zur Einziehung von Abgaben), das Gesinde und Vieh das sämtliche notwendige Getreide, Malz und Schrot zu mahlen und das benötigte Weiß- und Graubrot zu backen. Des weiteren bestand seine Pflicht darin, für die Herrschaft benötigten Pfosten, Bretter, Klötzer und alles was üblicherweise auf einer Schneide- und Brettmühle an Holz geschnitten zu werden pflegte, zu schneiden. Ebenso waren Oel und Leim oder was sonst zum Bedürfnis des Lehnsherrn zu schlagen oder zu stampfen war, herzustellen. Die Leistungen waren vom Müller ohne eine Bezahlung als Lehnspflicht zu erbringen. Allerdings erhielt er für das Backen von 48 Broten einen Dresdner Scheffel örtlich vorhandenes Korn. Auch erhielt der Müller unentgeltlich von der Herrschaft 6 Klafter langes Holz, 10 Schock Reisigbündel und 2 Buchen, 12 Zoll lang, auf dem Stock. Ausschließlich den Lohn für das Fällen und Hacken des Holzes sowie den Fuhrlohn für das Heranbringen des Holzes aus dem Wald musste er bezahlen. Das Trinkwasser aus der Schloßröhrenwasserleitung durfte er nach einer Gerichtsregistratur sei 1798 nutzen. Steine durfte er brechen, wobei er zuvor um die Anweisung der entsprechenden Plätze bei der Herrschaft nachsuchen musste.  

Jedoch war der Müller verpflichtet, alles von ihm, d. h. also von seiner Familie und seinen Mitarbeitern benötigte Bier und den Branntwein von der Schlossherrschaft in Scharfenstein - die möglicherweise auf dem Schloss oder wohl eher im Vorwerk hergestellt wurden - zu beziehen. Bei Verstoß gegen diese Abnahmepflicht, war das anderweitig beschaffte Getränk einzuziehen und an die Armen zu verteilen und darüber hinaus eine unbestimmte Strafe zu verhängen.   

1809 verkaufte der Meister Karl Friedrich Schöniger die Mühle mit allen Rechten und Pflichten in einem Erbkaufvertrag an seinen Schwiegersohn den Mühlenmeister Christoph Heinrich Reuter. Er behielt sich ein lebenslanges Wohnrecht für sich und seine Ehefrau an dem Stübchen auf dem Backofen und die vordere Kammer, unentgeltlich Feuer und Licht, die Nutzung der Hälfte des Oberbodens und der Scheune, die Benutzung der Schneide- und Oelmühle, die Garten- und Düngernutzung vor. Der Erwerber war verpflichtet, die Ackerarbeit zu leisten, wobei jeder die Hälfte der Früchte erhielt. Auch unentgeltliche Leistungen für den Veräußerer von Kuhmilch, Butter, Eier, Käse, Weizenmehl, Obst, Brot sowie jährlich ein Schwein wurden vereinbart. Mit dem Verkauf waren 8 Groschen zum Gottespfennig, 16 Groschen an die Armenkasse und 4 Groschen für Geräte zur Feuerbekämpfung zu entrichten. 

Christoph Heinrich Reuter verstarb und hinterließ seine Ehefrau Johanne Caroline und verheiratete, unverheiratete und auch noch unmündige Kinder als seine Erben. Ein Verkaufsvereinbarung der Mühle der Reuterschen Erben mit einem Kaufmann Eduard Kegel aus Chemnitz um 1833 - mit den darauf lastenden Dienste zugunsten der Gutsherrschaft - wurde anscheinend nicht vollzogen, da der Käufer den Kaufpreis nicht entrichtete.  

1835 erwarben sodann zunächst die Kaufleute und Gebrüder Polycarp Eduard und Polycarp Gustav Lechla aus Oederan die Mühle für 4.000 Taler Konventionsgeld von den Reuterschen Erben. 1835/36 trat der Kaufmann Herrmann Fiedler aus Oederan in den Kauf der Gebrüder Lechla zu 1/2 Miteigentum mit sämtlichen Rechten und Pflichten ein. Bereits in dem Vertrag vom 7. Februar 1835 war von einem Bauvorhaben die Rede, in dem Vertrag vom 14. Februar 1836 konkreter von einer zu erbauenden Fabrik. Die Herren von Einsiedel sicherten den Herren Lechla und Fiedler die bestmögliche Unterstützung des Bauvorhabens zu. Sie gestatteten, auf ihrem Grund und Boden hierfür Steine zu brechen. Es wurde ihnen die ausdrückliche Erlaubnis zum Bau beliebiger Fabrikanlagen erteilt. Andererseits sicherten sie den Erwerbern für den Bereich ihrer Grundherrschaft zu, keinen Anderen die Anlegung einer Mahl-, Schneide- oder Oelmühle bzw. auch einer Fabrik am Zschopaufluss zu gestatten. Die gewöhnliche Eigennutzung einschließlich des Holzflößens behielten sich die Herren von Einsiedel allerdings vor, jedoch unter Verzicht darauf ihrerseits eine eigene Spinn- und Weberfabrik am Fluss zu errichten. Auch die Fischerei im Zschopaufluss und Mühlengraben wurde geregelt. 

Wenige Zeit später errichteten die Herren Lechla und Fiedler an dem Ort und anstatt der Oel- und Schneidmühle die damals weit bekannte Spinnmühle mit einem damals völlig neuartigen Fabrikgebäude als Hochhaus mit acht Stockwerken. Das Gebäude wurde mit einer Dampfheizung ferngeheitzt. Die Spinnmaschinen - deren Technik der englische Ingenieur Evan Evans in den sächsischen Raum um Chemnitz mitbrachte bzw. weiterentwickelte und intensivierte - wurden über Wasserkraft und Transmission angetrieben. Ein Großteil der Beschäftigten waren Frauen und Kinder. Die Kinder unterlagen neben der Arbeit einer Schulpflicht am Ort der Spinnerei.

Ein Anteil des gesellschaftlich, wissenschaftlich und technisch sehr interessierten Johann August von Einsiedel an dieser Umgestaltung zu bürgerlichen Verhältnissen des Manchesterkapitalismus, die unmittelbar vor seinen Augen stattfanden, ist nicht nachzuweisen.

Voraussetzungen der Errichtung der Spinnmühle waren allerdings auch die von der Königlich sächsischen Generalkommission für die Ablösung von Lehndiensten im Auftrage des sächsischen Königs betriebene und in Scharfenstein ab 1833 statthabende Ablösung der Lehnrechte durch jährliche Geldrentenleistungen. Speziell die auf der Mühle lastenden Pflichten des Mahlens, Schneidens und Backens für die Einsiedelische Herrschaft auf dem Burgschloss wurden abgelöst. 

Die Ablösung der gewöhnlichen Hand- und Spanndienste konnte bisher nicht nachvollzogen werden, fand aber sicher auch spätestens um diese Zeit endgültig statt.

Andererseits haben die von Einsiedels der Herrschaft Scharfenstein einige Jahre zuvor in einem Vertrag mit den pflichtigen Bewohnern von Großolbersdorf, Hohendorf, Hopfgarten, Grüna, Scharfenstein und Griesbach die Ablösung einiger Frondienste - einschließlich des Gesindezwanges - durch eine Geldzahlung der Fröner in einem Vertrag vereinbart.

Die Wasserkraft, der doppelt freie Lohnarbeiter und die technische Ingenieurleistung mit Evan Evans lieferten die Voraussetzungen für eine neue Welt des Kaufs und Verkaufs der Arbeitskraft.    

Die örtliche Situation

Die Lage von Scharfenstein, dass sich an einer alten Heerstraße befindet, wird von August Schumann in seinen Ausführungen über den Ort noch 1825 als recht einsam charakterisiert. Man benötigte 1 1/2 Stunden bis zur Amtsstadt Wolkenstein, eben solange bis Zschopau, 2 1/2 Stunden bis Marienberg und 2 1/4 Stunden bis Thum.

Burgschloss und Dorf Scharfenstein gehörten zur Kirchgemeinde Großolbersdorf, die Einsiedels übten das Kirchenpatronat aus.

Die Dörfer Scharfenstein, Großolbersdorf, Hohndorf, Griesbach, Hopfgarten und Grüna zählten im Jahr 1801 zusammen 1.930 Einwohner, im Jahr 1825 ungefähr 2.700. Scharfenstein selbst hatte 1825 etwa 150 Einwohner im Alter von mehr als 10 Jahren. Scharfenstein selbst hatte 25 bis 28 Häuslerstellen.

1819 hatten für die Geldablösung des Gesindezwanges

in Großolbersdorf 67 Begüterte, 102 Häusler und 33 Hausgenossen;

in Grießbach 24 Begüterte, 27 Häusler und 9 Hausgenossen;

in Hohndorf 9 Begüterte, 31 Häusler und 4 Hausgenossen;

in Scharfenstein 26 Häusler und 7 Hausgenossen;

in Grünau 4 Begüterte, 1 Häusler und 1 Hausgenosse;

in Hopfgarten 7 Begüterte, 12 Häusler und 2 Hausgenossen

aufzukommen. 

1820 waren der Gutsherrschaft 63 Anspänner und 18 Handbauern lehnspflichtigt. Der Fuhrdienst der Anspänner war zweispännig zu leisten. Hand- und Spanndienste waren als voller Tag mit Arbeitsbeginn früh 6 Uhr bis zum Arbeitsende abends 6 Uhr zu leisten.

Die Bewohner nährten sich im Übrigen als Tagelöhner in den Gutsforsten sowie von Klöppelei und Spinnerei. 

Das Rittergut bewirtschaftete seine hervorragenden Waldungen mit Schwarzholz und auch stellenweisem Buchenbestand, betrieb das Schlossvorwerk und die beiden kleineren Vorwerke Hohndorf und Grüna (Grühnau) und damit verbunden Schäferei.

1825 wird von einer bedeutenden Brauerei gesprochen, die sich zu dieser Zeit im Vorwerk Scharfenstein befand. 

Das Burgschloss bestand damals aus den wenigen Ruinen einer uralten Burg und Gebäuden, welche damals ein Alter von 200 bis 300 Jahren aufwiesen und um 1825 umfassend zur Zeit der Wohnsitznahme von Johann August von Einsiedel renoviert wurden. Zwei Hauptgebäude und ein Flügel wiesen zumeist 3 Etagen auf und waren mit Schiefer gedeckt. Die Schlosskapelle bestand nach wie vor. Auf dem  nördlichen Flügel befand sich ein kleines Türmchen mit einer Schlaguhr. Bemerkenswert waren zahlreiche Tropfsteinzapfen in einem Seitengebäude. Ein Teil des Bergabhanges war in einen Garten umgewandelt und teilweise terrassiert worden.

Quellen und Literatur:

Archivforschungen

Pietzonka, Johannes: Der Wildschütz Karl Stülpner - Legende und Wirklichkeit, Leipzig 1998 (2. Auflage).

Reetz, Johannes : Geschichte und Geschehen in der Kirchgemeinde Großolbersdorf, Eigenverlag 1930.

Schumann, August: Vollständiges Staats-, Post und Zeitungslexikon von Sachsen pp. Zwischau 1825, Bd. 10, S. 229-234. 

Schröder, Albert: Burgen und Schlösser im oberen Zschopautal, Dresden 1932.

Unger, Roland (Hrsg.): F. v. S., Carl Stülpner ein berüchtigter Wildschütz im sächsischen Erzgebirge. Die erste Stülpnerbiographie, aufgezeichnet von Friedrich von Sydow. H & F Verlag Scheibenberg 1998.

Stand: 13. Juni 2015